"Geschichte" – was ist das eigentlich?

Abstract
Was die Geschichte sei, oder aus welchem Stoff sie sei, ist eine philosophische Frage, die besondere Schwierigkeiten enthält. Historiker können diese Frage nicht beantworten; sie erforschen, beschreiben, erzählen die Geschichte. – Die Philosophie aber denkt die Geschichte. Die besondere Schwierigkeit mit dem Begriff der Geschichte besteht darin, dass wir mit der Geschichte etwas denken, das vom Menschen selbst hervorgebracht worden sein und doch zugleich unabhängige Realität haben soll, also zugleich „ist“ und „bedeutet“. – Geschichtsphilosophie hat historisch zwei Gestalten: Die materiale Geschichtsphilosophie (jüdisch/christliche Denktradition bis Hegel) betrachtet die Geschichte als objektiven Sachverhalt (res gestae). Dabei wird das Geistige der Geschichte substantialisiert bzw. metaphysisch hypostasiert, so dass der Sinn-Zusammenhang der Geschichte aus dem menschlichen Denken in eine übermenschliche bis göttliche Instanz hinausverlagert wird (mythisches Denken). – Demgegenüber erkennt eine Formale Philosophie der Geschichte die Subjektivität der Geschichte als einer Funktion der Urteilskraft (rerum gestarum memoria). Geschichte ist daher allein Erzähl-Text. Insofern ist die eine „wahre“ Menschheitsgeschichte strukturgleich mit allen faktualen wie fiktionalen Einzelgeschichten. Die philosophische Frage nach dem „was-es-ist“ der Geschichte kann nur – nach dem Vorbild der Kantischen Vernunft- Kritik – in einer Konstitutionstheorie des geschichtlichen Urteils-Wissens (Erzähl-Text) beantwortet werden. Hier werden zwei (quasi-) transzendentale Prinzipien der narrativen Urteilskraft vorgestellt: Das Prinzip der Homogenität begründet die Struktur des Erzähl-Textes aus dem besonderen Zeitverhältnis von Erleben und Erinnerung (Geschichtlichkeit) im Subjekt. Das Prinzip der Kontinuität begründet die Einheit des Erzähl-Textes aus der subjektiven Einheit des Selbstbewusstseins. – Ergebnis: Die Geschichte ist absolutes Freiheitsgeschehen, nicht objektivierbar, nicht methodisch rationalisierbar, daher als symbolischer Ausdruck menschlichen Freiheitsbewusstseins der Kunst näher als der Wissenschaft.